Ich habe bis jetzt von 12 Volt Röhrenprojekten Abstand genommen, da ich aufgrund theoretischer Überlegungen den Vorteil von Röhren, nämlich ihr Spielgefühl aufgrund ihrer Dynamik, mit 12 Volt als nicht gegeben ansehe. Da macht es mMn. mehr Sinn JFETs und MOSFETs (Wampler Plexi-Drive, ZVex Box of Rock, BSIAB) zu benutzen.
60 Volt mit einer nicht ganz so hoch verstärkenden Röhre, wie der ECC81, war mir dann allerdings doch einen Versuch wert.
Der Bausatz war vollständig, mit etwas zu wenig Litze. Das kann aber auch mein Fehler sein, da ich die Kabel gerne etwas länger lasse, um sie besser anlöten zu können. Dies sollte bei einer gut ausgestatteten Hobbyelektroniker-Werkstatt, die ausreichend Litze im Vorrat hat, aber kein Problem darstellen. Da ich aufgrund meiner Altersweitsichtigkeit grundsätzlich alle Widerstände und Kondensatoren vor dem Einsetzen nachmesse, ist bei mir die Möglichkeit eines Bestückungsfehlers quasi Null. Und daher hat der Bausatz auch direkt funktioniert.
Achtung: Bitte zunächst die Ladungspumpe auf 60 Volt einstellen, bevor sie an die Hauptplatine angelötet wird, da der Siebkondensator auf der Hauptplatine nur 63 Volt verträgt. Das ist für mich eine Sollbruchstelle. Persönlich würde ich grundsätzlich keine Bauelemente an den Grenzen ihrer Spezifikation betreiben. Das ist natürlich meine pers. Meinung, daher mal sehen wie lange der Kondensator hält.
Bei der Ladungspumpe gab es auch das einzige mini Problem. Der mitgelieferte Trimmer passte nicht in die Löcher der Platine. Das Rastermaß stimmte nicht. Ich habe dann abgeschnittene Widerstandsbeine eingelötet, diese verbogen und darauf den Trimmer angelötet.
Negativ:
1) Die immer aktive V1/1 ist ein extremer Volumenbooster. Wer ein klassisches Setup spielt - Gitarre, Verzerrer, (andere Pedale) Verstärker - wird seinen Clean-Channel am Amp vermissen. Der wird nämlich Volume geboosted und geht in die Sättigung. D.h. er ist nicht nur verzerrt, sondern auch viel zu laut. Auch Pegel empfindliche Effekte, wie der EHX Holy Grail, quitieren den Pegel mit Verzerrungen. Wer jedoch einen Effect-Switcher nutzt, kann den ausgeschalteten VO (Vanilla Overdrive) als Booster vor seinem Zerr-Kanal betreiben und freut sich über die im Signal liegende V1/1.
Neutral:
1) Das Voicing ist recht neutral, vielleicht eher Richtung Fender Tweed. Der ausgeschaltete Boost Schalter sowie der Tone Regler können Bässe klauen, was im höheren Gainbereich sinnvoll ist. Man kann dem VO aber auch fast Fender Bassman Töne mit knarzigen Bässen entlocken. Bei max. Gain hat man eine mMn. schöne Rock bzw. Hard Rock Verzerrung. Old School Metal a la JCM800 bietet das Pedal allerdings nicht.
Positiv:
1) Den Tone Regler finde ich klasse. Er erlaubt zwar keine heftigen Eingriffe, dafür kann man mit ihm jedoch den Sound voller oder straffer (Bässe ausgedünnt) einzustellen.
2) Der Boost Schalter - eine bessere Bezeichnung wäre Bass Boost.
3) Aufgrund der parallelen Anordnung der Bauelemente auf der Platine, kann man sehr einfach z.B. per Krokodilklemme+Kabel einen Kondensator parallel zum Kathodenwiderstand anklemmen und anfangen am Voicing zu drehen.
Sound:
Ich konnte den VO bis jetzt nur zu Hause testen. Dort kann ich allerdings durchaus laut spielen!
Als Amp steht zu Hause ein Egnater Tweaker 40 Head mit Palmer 1x12" Cab und G12M65 Creamback zur Verfügung. Dieser ist auf 80er Rock eingestellt.
Amp Settings:
British
Treble 2 Uhr
Middle 2 Uhr
Bass 12 Uhr
Beide Kanäle Modern, Clean und Mid-Cut off
Kanal 1 (clean) : Gain 9 Uhr, Bright und Deep
Kanal 2 (crunch): Gain 17 Uhr, Bright off und Tight
Die V1 des Tweakers ist eine JJ 5751, die ich eingesetzt habe, damit auch mit leistungsstärkeren Humbuckern der Kanal 1 clean bleibt. Dadurch verzerrt Kanal 2 natürlich auch etwas weniger.
Der VO mit Kanal 1, eingestellt auf eine leichte Verzerrung (Master und Gain ca 12 Uhr), nennen wir es Rock Clean, kling genial. Er arbeitet auch hervorragend mit meinem Tube Screamer Mini zusammen, der eigentlich den Tweaker Kanal 2 anblässt, um von Hells Bells in die Run To The Hills Gefilde zu kommen.
Resumée:
Die 60 Volt helfen, damit wirklich Röhrenfeeling rüberkommt. Diese Aussage stammt von einem Hobby Gitarristen. Profis mögen dies anders sehen.
Außerdem klingt er gut. Wer ein High-Gain Monster benötigt, ist hier jedoch falsch.
Und der letzte Punkt aus der Positiv-Liste macht diesen Bausatz so interessant. Es ist sehr einfach möglich die Schaltung zu verändern.
Mein Favorit ist derzeit ein Mod in Richtung des 2003 JCM800 Preamps. Hierfür wären nur relativ wenige Änderungen notwendig.
Da mir der Sound des VO im low Gain Bereich allerdings auch sehr gut gefällt, tendiere ich derzeit dazu mir in der nächsten Zeit einen weiteren VO zuzulegen, den ich dann direkt modden würde.